Sehr geehrte Frau Beschaffungsstelle.
Sehr geehrter Herr Beschaffungsstellerich.

Am gestrigen Vormittag wurde mein altes Telefon gegen ein neues ausgetauscht.

Diese Maßnahme möchte ich nicht unkommentiert über mich ergehen lassen. Nicht zuletzt um Ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, aus Ihren Fehlern zu lernen und an ihnen zu wachsen.
Mein altes Telefon telefonierte übrigens noch optimal. Ein Tausch wäre nicht zwingend vonnöten gewesen.

Nachdem ich das von Ihnen erwählte technische Prachtstück begutachtet und den ersten Schock überwunden habe, möchte ich Sie, soweit sich das verbalisieren lässt, am Elend Ihrer Heldentat teilhaben lassen. Und Sie über einige primäre Eigenschaften dieses neuen Kommunikationsgerätes in Kenntnis setzen.

Zunächst das Positive:

Die mechanische Ergonomie ist einwandfrei. Da ist ein Telefonhörer dran, den ich ans Ohr halten kann und der es mir gleichzeitig erlaubt in die Sprechmuschel zu sprechen (oder zu nuscheln – dann Nuschelmuschel). Telefonieren tut es auch. Soweit bin ich zufrieden.

Der Klingelton ist herzerwärmend knuffig samtig brummig. Ich kann nun aus einer inflationären Zahl lustig betitelter Tönchen auswählen. Von denen jedoch kein einziges (dumpf trällernde Tütel-Tuterchen sind das – allesamt) auch nur annähernd das Potential hat, mir zu vermitteln, dass hier ein Telefon klingelt.

Die Größe des Displays ist, entgegen dem meines sehr funktionellen und nicht mehr vorhandenen alten Telefons, auf zwei Zeilen geschrumpft. Auf den ersten Blick nichts Schlechtes. Die Ergonomie besagt: wo Informationen klar strukturiert und auf das Nötigste reduziert werden, lässt sich effektiv arbeiten. Doch die angezeigten Informationen sind geeignet schubweise meinen Blutdruck zu erhöhen und meinem Herzschlag rhythmische Störungen zu bescheren.

50 Prozent der Gesamt-Informationen werden durch folgende Text-Zeile repräsentiert:

Nebenstellennummer: 2349

(Ich atme – tief durch)

(geht schon wieder)

Diese Telefonnummer – diese 2 3 4 9 – habe ich seit über zehn Jahren.
Sie ist mir sehr geläufig. Meine Telefonnummer. Ich kann sie auswendig.
Wenn ich sie nun dutzende Male am Tag lese, werde ich sie kein bisschen auswendiger können. Dessen wollte ich Sie schriftlich versichert wissen.

Gleichsam bedanke ich mich für die Bereicherung meines Wortschatzes.

'N e b e n s t e l l e n n u m m e r'

Dieses Wort habe ich in den letzten vierzig Jahren nicht benötigt. Ich wüsste auch nicht, wann und wo ich es sinnvoll verwenden könnte. Doch mein Vokabular ist nun um eine Wortschöpfung aus dem Bereich Telekommunikationstechnik reicher. Haben Sie vielen Dank dafür. Ich erwäge ernsthaft künftig nicht mehr von Telefonnummer zu sprechen, sondern von Nebenstellennummer. Wenn Sie mich erreichen wollen, meine Nebenstellennummer ist die ... aber verstehen Sie das nicht falsch. Wenn Sie da anrufen, dann klingelt da keine Nebenstelle, sondern ein Telefon.

Mein altes Telefon hatte die Eigenschaft, mich mit folgendem blinkenden Wort darauf aufmerksam zu machen, dass in meiner Abwesenheit Anrufe eingegangen sind:

'ANRUFER' – blinkte es da.

Eine sehr intuitive Wortwahl, wie ich finde. So wusste ich gleich, wenn da das Wort ANRUFER erschien und mich anblinkte, dass da ein Anrufer angerufen hat.
Das Neue hat ganz oben im Eckchen (mehr Platz ist leider nicht, weil der Rest des Displays für die Information 'Nebenstellennummer: 2349' gebraucht wird) ein kleines dunkles Fleckchen. Kaum größer als ein Brotkrümel am Frühstückstisch. Dunkelgrau auf hellgrau. Oder dunkeldunkel auf helldunkel – wie man es interpretieren mag. Wenn dieses Dunkel-Krümelchen blinket, dann solle es mir signalisieren, es hätte da jemand angerufen. Sehr niedlich. Krümelergonomie.
Die Tastenfolge, die ich dann drücken muss, um herauszubekommen, wer mich da angerufen hat, mag ich jetzt nicht beschreiben. Das würde den Rahmen sprengen.

Das Telefonbuch – meines per 'Ordre de Mufti' verschrotteten Telefons – erlaubte mir das Speichern von 50 Kontakten.
Dies ist bei dem neuen Wunderding auf die knackige Anzahl von zehn begrenzt. Dafür kann ich sechs weitere Nummern auf Tasten programmieren. Und damit ich geistig rege bleibe, gibt es für die restlichen Nummern ein so genanntes 'internes Telefonbuch'. Ein 'externes Telefonbuch' habe ich auch noch. Ein 'überflüssiges Telefonbuch' wäre noch ein schöner Gag gewesen.
Geben Sie es zu. Das ist nicht nur ein Telefon. Das ist eine Herausforderung. Das ist ein Intelligenztest. Stimmt’s?
Ich habe mich, flexibel wie ich bin, wieder auf Papier verlegt.
Neben dieser technischen Errungenschaft liegt nun ein handgeschriebenes Blatt mit den wichtigsten Telefonnummern. Die Beschaffung von Papier scheint in unserem Hause noch sehr verlässlich und lässt hoffentlich auch in Zukunft kaum Spielraum für die Beschaffungsspaßvögel in Ihren Reihen.

In Zeiten längerer Abwesenheit leite ich meine Anrufe um.
Früher stand da:

'Umleitung > Müller'

So wusste ich, dass Herr Müller nun meine eingehenden Anrufe erhält.
Das neue Telefon erlaubt ebenfalls eine Rufumleitung.
Nun steht da:

'variabel umgeleitet'

Der verwertbare Informationsgehalt des angezeigten Textes wurde also (bei annäherend gleicher Textlänge und scheinbar grundlos, aber unverhandelbar) um die Hälfte reduziert. Dazu erspare ich mir weitere Kommentare.

Da der Hersteller des Telefons der gleiche geblieben ist, weise ich Sie darauf hin, dass inzwischen zehn Jahre Evolution und Entwicklungszeit ins Land gegangen sind. Erwerben Sie von dieser Firma bitte keine Telekommunikationsgeräte mehr. Es besteht die Gefahr, dass die nächste Generation als Morse-Apparat oder Buschtrommel ausgeliefert wird. Der Produktname Ergo solle zwar Ergonomie assoziieren, das ist aber irreführend. Ein vermutlich beabsichtiges Assoziations-Bockshorn.

Mein Kollege hat mir dringend dazu geraten, mich nicht mehr aufzuregen, wenn jemand das Wort 'Telefon' sagt, oder wenn das funktionsreduzierte Scheißerchen auf meinem Tisch seine seltsamen Brummtöne absorbiert.
Wegen der Magengeschwüre.
M a g e n g e s c h w ü r e.
Was ich bekomme, wenn ich an ihre Beschaffung denke, das ist so groß, dass es ganz bestimmt nicht in meinen Magen passt. Und ich packe locker drei Schnitzel und eine doppelte Portion Pommes mit Mayo.

Für Ihre weiteren Beschaffungen wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen viel Glück – sie werden es brauchen.

Freundlichst


PS:
Nun hoffe ich doch sehr, Ihnen nicht zu nahe getreten zu sein und bitte vielmals um Nachsicht.
Mein Leben, auch mein Arbeitsleben, ist derart erfüllt und wunderbar, dass es mir an passenden Gelegenheiten mangelt, mich einer gediegenen Motzerei hinzugeben. Ihr lächerliches Beschaffungskunststück hat mich förmlich darum angebettelt (und tut es noch, wenn ich es so anschaue). Wenn Sie Freude daran haben, sich von einem echauffierten Mitarbeiter am Telefon die Ohren vollplärren zu lassen, können Sie mich gerne anrufen. Sobald das Telefon klingelt bin ich in prächtiger Missstimmung. Sie erreichen mich unter der Nebenstellennummer 2349. Aber verstehen Sie das bitte nicht falsch. Wenn Sie da anrufen, dann klingelt da keine Nebenstelle ...

 

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