Beim Soda-Mensch handelt es sich um eine Mensch gewordene Wichtigkeit, die einfach nur so da ist.
Um die Nutzlosigkeit des Soda-Menschen zu erläutern, bedarf es einer kurzen prosaischen Betrachtung.

Ich bin ein hervorragender Klopapierrollenstapler.
Angenommen, das Stapeln von Klopapierrollen ist eine gesellschaftlich bedeutende Leistung, so erfahre ich dafür wohltuende Reputation.
Menschen, die in ihrer Notdürftigkeit einen Nutzen aus meiner Stapelei ziehen, bin ich eine Freude.
Menschen mit gering ausgeprägter Stapelbegabung, die ebenfalls dieser Tätigkeit frönen, bin ich Arbeitsgefährte und Vorbild.
Meine Stapel sind prächtig. Ich fühle mich gebraucht, wohlgelitten und gut. Die Welt ist schön.

Nun kommt der Soda-Mensch ins Spiel.
Mein Beispiel-Soda-Mensch kann zwar nicht viel, aber er kann immerhin ordentlich zählen, vergleichen, bestimmen und wollen.
Er zählt meine gestapelten Klopapierrollen. Vergleicht das Gezählte mit dem, was all die anderen Klopapierrollenstapler so rollengestapelt haben und ergeht sich in hingabevollem Anordnen und Wollen.
Er will, dass alle Klopapierrollenstapler ihm ab sofort wohlgefällig zu stapeln haben, gemäß der vorbildlichen Güte und Menge meiner Stapeleien.
Natürlich ist dieses Wollen ein ausgemachter Nonsens.
Im Grunde hätte er auch sagen können: "Tut das, was ihr immer getan habt. Aber fortan nicht mehr, weil es euch eine Freude, eure Bestimmung, oder euer Job ist, sondern weil ICH das so will."
Die scheinbar sinnbefreite Instruktion zur leidenschaftlichen Klopapierstapelei erfüllt einen besonderen Zweck. Sie dient dem Soda-Mensch dazu, sich selbst das Gefühl von Nützlichkeit zu vermitteln.

Dieses Ansinnen hat weitreichende Konsequenzen. Von nun an bin ich für die Anderen keiner mehr aus ihrer Mitte und auch kein geachtetes gemochtes Vorbild mehr, sondern der zählbare Maßstab für ihr Versagen. Nur der Soda-Mensch mag mich, weil ich seinen optimalen Brauch- und Nutzmenschen verkörpere. Die Anerkennung durch den Soda-Menschen ist für mich ein gesellschaftlicher Makel. Ich beginne schiefzustapeln und reduziere mein Arbeitstempo, um diesen schleunig wieder loszuwerden.

Der Soda-Mensch zählt, auditet, evaluiert, controlt, ratet und verifiziert was die Tabellenkalkulation hergibt. Er bilanziert eine zunehmende Verschlechterung der Produktivität.
Was er nicht zählen kann, das entgeht seiner wirtschaftswissenschaftlichen Erhebung. Sowohl das vermieste Betriebsklima, als auch das verlustig gegangene gegenseitige Vertrauen, konnte rechnerisch nicht ermittelt – informell nicht verarbeitet – und auch nicht graphisch dargestellt werden.
Gleichsam besitzt der Soda-Mensch den wahnwitzigen Ehrgeiz, die Ursache für die produktive Verschlechterung auf Basis seiner erhobenen Informationen zu analysieren und – was noch schlimmer ist – zu beheben.

Soda-Menschen verfügen nur über eine schwach ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit für soziale Zusammenhänge. Selten wissen sie um die Wechselwirkung von Kontrolle und Vertrauen. Kontrolle und Vertrauen schließen sich nämlich gegenseitig aus – immer. Das ist Sozialphysik. Wie bei der phsyikalischen Gesetzmäßigkeit 'Wo ein Körper ist, da kann ein anderer nicht sein', funktioniert das auch im Sozialen mit der Kontrolle und dem Vertrauen. Diese emotionale Regel gilt übrigens für alle Bereiche bemenschter Zusammenleberei.

Um den Schaden, den der Soda-Mensch durch sein Dasein verursacht hat, wieder zu beheben, leitet er Maßnahmen ein. Er absolviert einen ersten Lehrgang in Menschenkunde und erlernt schulisch die psychosozialen Grundregeln der Zusammenarbeit. Jetzt ist er schon so klug, dass es kaum mehr auszuhalten ist.
Von nun an spricht er über UNS und WIR. Erklärt, dass WIR gemeinsam stark sind. Formuliert UNSERE Interessen und UNSERE Ziele, die WIR erreichen wollen. Und dass WIR das schaffen.
Da er ständig ICH denkt, wenn er WIR und UNS sagt, glaubt ihm keine Sau.
Nach ausgiebigem Motivationsgeplapper beginnt er von Sozialkompetenz zu faseln und krönt seinen Versuch der manipulativen Behandlung von Nutzmenschen mit dem Motivationswort aller Motivationsworte. Er sagt: "TEAM".
Daraus bildet er dann zusammengesetzte Hauptwörter. TEAM-Denken. TEAM-Besprechung. TEAM-Geist. TEAM-Arbeit. Und so weiter.
Dass es uns Menschen nur deshalb gibt, weil wir seit Jahrtausenden im Team arbeiten, das weiß der Soda-Mensch nicht. Ebenso wenig, dass wir im Team gearbeitet haben, bevor er uns Klopapierrollenstapler mit seiner Wollerei ent-teamt und auseinander-geteamt hat.
Während wir weiterhin, wenn auch frustriert und demotiviert, Klopapierrollen stapeln, sinniert er darüber, ob die Ursache der offenbarten kollektiven Unfähigkeit ihm willenskonform zu stapeln, in der Bildungsarmut und der sozialen Herkunft der Klopapierrollenstapler zu suchen sei. Er hat den Eindruck, dass wir gar nicht verstehen, wie das mit der Teamarbeit und dem gemeinschaftlichen Sein funktioniert. Einzig er hat begriffen.

So ist er halt, der Soda-Mensch. Sich selbst gegenüber zuverlässig unkritisch – unfassbar schlau – sozial merkfrei – immer wollen-wollend – verbal erfolgs- und leistungsorientiert – und eben einfach nur so da. Will heißen, von einem arbeitsfrohen Menschen gesunden Verstandes kaum zu ertragen.

Niemand wird als Soda-Mensch geboren – und niemand muss sein Dasein als solcher fristen. Soda-Mensch wird man einzig aus freiem Willen. Dafür braucht es nur ein ordentliches soziales Defizit – etwas, das heute leichter zu erwerben ist als jemals zuvor. Dann ist der Wille hilfreich, in dieser Gesellschaft etwas erreichen zu wollen und vorwärts zu kommen. Und zu guter Letzt benötigt man noch einen höhergestellten Soda-Menschen, dem man unhinterfragt zielstrebig willfährig ist. So einfach ist das.

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