Was für eine intime Frage. Denen ist ja gar nix heilig. Vor nicht einmal zwei Minuten habe ich auf den Türöffner gedrückt. Noch keine drei Sätze habe ich mit diesen Fremden gewechselt.

Und nun schieben sie mir unverblümt diese vier Worte durch die offene Tür, gefolgt von einem sehr forschen Fragezeichen.
„Glauben Sie an Gott?“

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich das jemals jemand gefragt hätte. Es gibt Dinge, über die ich für gewöhnlich nicht referiere, obwohl mir das Betexten meiner Mitmenschen keinerlei Mühe bereitet. Details meiner Steuererklärung, Farbe und Konsistenz meines Stuhlgangs oder mein Verhältnis zu Gott zu erfragen, das empfinde ich als überaus indiskret. Trotzdem steht diese Frage nun fordernd im Flur – und die Beiden blicken mit verklärten Gesichtszügen erwartungsvoll die Treppe zu mir empor. So eine bedeutungsschwere Frage stellt niemand, ohne damit eine Absicht zu verfolgen. Und ich habe auch schon eine Vermutung welche.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit Hausierern konfrontiert werde, die anstelle eines Staubsaugers oder eines Zeitschriftenabonnements gleich einen ganzen Glauben anzubieten haben, nebst verlockenden Privilegien. Die allerdings erst nach meinem Ableben Wirklichkeit werden sollen.
Sogar ein „Ewiges Leben“ wurde mir an der Haustür schon glaubhaft in Aussicht gestellt. Also, wenn das noch besser ist als mein jetziges, dann nehme ich das glatt noch dazu. Dem perfekten Gott, der bei dem Angebot zwischen Tür und Angel stets eine zentrale Rolle spielt, kann ich nur ein gerüttelt Maß an Misstrauen entgegen bringen. Perfekte Menschen sind mir schon überaus suspekt. Und ich habe einen Heidenrespekt davor, was der Glaube an perfekte Götter alles verursachen kann.

Die Glauberei ist ein schwieriges Tätigkeitsfeld geworden. Es gibt einfach zuviel, woran Menschen so glauben können. Ein Gläubiger muss schon frustrationstolerant sein, wenn er sich erst einmal entschlossen hat an „die Liebe auf den ersten Blick“, „ewiges Wirtschaftswachstum“, „sichere Renten“, „die Glücklichmachfunktion des Geldes“ oder „die Lauterkeit der Politik“ zu glauben.
Derzeit steht der Glaube an die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts, die Attraktivitätssteigerung mittels Schönheits-OP, oder daran, dass es ganz o.k. ist, wenn der Staat heimlich überprüfen darf welche E-Mails ich in meinem Postfach habe, ganz hoch im Kurs. Irrglauben gab es wohl schon immer.
Die Sache mit dem Glauben ist aber noch nicht ganz verloren. Ein Geschäfts - (oh, Entschuldigung) Glaubensmodell, bei dem die Dividende erst nach dem Tod eingestrichen werden kann, ist dem Endverbraucher heute nur schwer zu vermitteln. Die allfällige kirchensteuerförmige Benutzungsgebühr mag ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst erwähnen.
Vielleicht hat die Beiden auch nur die Sorge zu mir getrieben. Die Sorge um ihren Gott. Um ihn zu retten. Obwohl sich schon seit langer Zeit der Eingottglaube durchgesetzt hat, ist dies noch keine sakrosankte Überlebensgarantie für Angebetete. Unbeglaubt werden nämlich auch Götter schnell zu Geschichte, und landen bei all den anderen, denen keiner mehr huldigen mag, im Geschichtsbuch. Dort finden sich schon unzählige, die das Potential zur Ewigkeit hatten. Bunte Haudegen aus echtem Schrot und Korn. Mit Ecken und Kanten. Götter zum Anfassen. Von den Göttinnen ganz zu schweigen. Und doch mussten sie den Weg alles Unbeglaubten gehen.
Ich mag sie, diese ehemaligen Göttlichen und Halbgöttlichen.
Was muss es den Glaubwilligen damals eine Wonne gewesen sein, sich beim Saufgelage der Gewissheit zu erfreuen, mit jedem Schluck und jedem Rülpser einem Gott zu huldigen. Saufen, dem Alkoholikergott Dionysos zu Ehren. Selbst beim gemeinen Ehebruch schien man den Göttern zu gefallen, oder ihnen besonders gleich zu sein. Zeus und Herakles, zwei Prachtexemplare der mythischen Rasselbande, konnten gar einen unehelichen Nachwuchs vorweisen, der einem Feldkarnickel zur Ehre gereicht hätte.
Mir scheint als hätten die sympathisch unperfekten Gottheiten damals einem freudvollen Leben beispielhaft Vorschub geleistet. Es ist mir unerklärlich, wie diese herrlichen Götter dem Unglauben zum Opfer fallen konnten.
Also ich hab schon einen Gott. Den hatte ich schon immer. Auf keinen Fall werde ich ihm nun kündigen oder ihn einfach im Stich lassen, nur weil die beiden Missionsabsichtler hier vor meiner Tür stehen.
Und ob ich an Gott glaube? Ich werde den Teufel tun, das den dreisten Fragestellern auf die Nase zu binden.

„Ich habe einen Gott. Einen richtig guten. Für einen weiteren ist in meinem Leben echt kein Platz.“
Mehr Worte braucht es nicht, um den Ungebetenen einen enttäuschten Abschiedsgruß zu entlocken. Es mag herzlos erscheinen, aber ich kann mich nicht jeden Gottes annehmen. Und ob es ihnen gelingt, ihren Gott vor der Unbeglaubtheit zu erretten, das liegt nun mal einzig in der Gutgläubigkeit der Menschen.

 

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